Newsletter Syrien / Homs 6/2017
Liebe Gemeinde! Ende Mai bekamen wir wieder Post vom Pfarrer unserer syrischen Partnergemeinde in Homs, Jihad Nassif. Er grüßt unsere Gemeinde ganz herzlich und berichtet, dass auch in seiner Gemeinde am 21. Mai 4 Kinder zur Erstkommunion gegangen sind. Die Schüler haben ihre Prüfungen abgeschlossen und vom 04. Juni - Ende August findet wieder eine Ferienbetreuung im Gemeindesaal seiner Kirche statt. Außerdem wird inzwischen regelmäßig das deutsche Kyrie „Herr erbarme Dich“ (GL Nr. 157) in der Messe in Homs gesungen. Darüber freut sich Jihad Nassif sehr! Wir haben ihm ja auch geschrieben, dass wir das maronitische Trishagion regelmäßig an unseren 3 Kirchorten singen. Jihad Nassif hat aber auch in diesem Brief an beispielhaften Schicksalen aus seiner Gemeinde und Heimat versucht, das aktuelle Lebensgefühl der Christen in Syrien zu beschreiben. Ich möchte Sie gern an diesen Beschreibungen teilhaben lassen, wenn Sie mögen. Ich habe versucht, Jihads Brief so orginalgetreu wie möglich wiederzugeben. Nehmen Sie sich beim Lesen etwas Zeit und versuchen Sie, ein bisschen in seine Welt einzutauchen. Beate Spata
Brief von Jihad Nassif:
UM KHALIL die Lage ist viel ruhiger geworden. Keine Autobomben oder SelbstmordattentäterInnen oder Raketen!!(zumindest bis jetzt). Wir können uns endlich frei bewegen!
Der letzte Anschlag allerdings hat uns sehr hart getroffen. Vor gut 2 Monaten (im Februar 2017) ist ein junger Soldat aus der Gemeinde gefallen. 6 Jahre lang hat er seinen Militärdienst geleistet. Vergeblich wartete er auf seine Entlassung. Seine Eltern waren inzwischen nach Amerika ausgewandert, während er wartete und wartete. Der Militärdienst dauert normalerweise 18 Monate. Er hat sich entschieden, dann doch zu heiraten. Vor einiger Zeit verlobte er sich mit einer jungen Frau aus Homs. Eine Woche vor der Hochzeit hatte er frei bekommen, um heiraten zu können. Zusammen mit seiner Verlobten stieg er in den berühmten Minibus, um einige Sachen für die Hochzeit einzukaufen. Eine verschleierte Frau stieg mit in den Bus ein, um nach einigen hundert Metern wieder auszusteigen. Kaum ist der Minibus losgefahren, flog er in die Luft. Der Verlobte ist auf der Stelle gestorben, während seine Verlobte bewusstlos ins Krankenhaus kam...
Ich musste an Um Khalil und ihren Sohn Saer denken. Fast eine ähnliche Geschichte, die die ganz konkrete Situation vieler junger Menschen darstellt .
Mitte November, vor zwei Jahren, klopfte, morgens früh eine ältere Frau an meine Tür. Was kann ich für Sie tun? fragte ich sie. Sie erzählte, dass ihr Sohn Ibrahim, der Anfang des Krieges zum Militär eingezogen wurde, endlich geheiratet hat .Er stellte fest, dass seine Entlassung nicht abzusehen ist. Er ist nicht mehr so jung. Sein alter Vater liegt seit Jahren im Bett. Sein älterer Bruder Khalil ist Bauer, kann aber seinen Acker nicht bestellen. Alles um das Dorf Mescherfeh, nordöstlich von Homs, liegt brach. Wegen der Dauerschießereien wagt es keiner, auf sein Landstück zu fahren. Ibrahim muss die Eltern ernähren. Er ist nicht verheiratet. Khalil musste nicht zum Militär gehen, weil sein jüngerer Bruder den Militärdienst leistet. Wenn eine syrische Familie zwei erwachsene Söhne hat, dürfen nicht beide gleichzeitig eingezogen werden. Khalil hat sich entschieden den Militärdienst zuerst zu leisten. Er wurde an der Front bei Aleppo eingesetzt. Um Khalil muss als Putzfrau in diesem Alter auch weiter arbeiten. Das wenige Geld, das ihr älterer Sohn verdient, reicht nicht einmal für eine Woche Haushalt. Die Bauern im Norden Homs wagen schon seit langem nicht mehr, zu ihrem Acker zu gehen. Es fallen dort mehr Raketen und Bomben als Regen.
Die Brutalität des Krieges zeigt sich hier am härtesten: Der Acker ist ein Sinnbild: jeder ist seinem Schicksal allein überlassen. Im Krieg sind die Großzügigkeit und die Gastfreundschaft, die immer zum alltäglichen Leben im Orient gehört haben auch im Krieg mitgefallen. Von jedem Syrer, von jeder Syrerin ist ein Teil mitgefallen. Wir verlieren viel.
Seitdem besucht mich Um KHALIL an jedem 1. Sonntag im Monat. Ihr monatlicher Besuch beweist mir, dass die Hoffnung noch hier leben kann und leben will.
Wir haben gemeinsam Hoffnung und stehen hier. Ihr Sohn, Ibrahim, hat fast 6 Jahre lang seinen Militärdienst in Aleppo geleistet. Im Gegensatz zu Saer, hat Ibrahim es allerdings geschafft, zu heiraten. Er hat eine Armienerin aus Aleppo geheiratet .Seine arme und kranke Mutter, Um Khalil, wollte an seiner Stelle die Formalitäten der Heirat bei der Zivilgemeinde in Homs erledigen, damit ihr Sohn einige Tage mehr mit seiner Braut in Aleppo verbringen konnte. Noch bevor sie sie erledigen konnte, bekam sie die Nachricht vom Tod ihres Sohnes. Die Anträge mussten geändert werden.
Noch ein Schicksal...
Samar wollte unbedingt mit ihrer Familie nach Hamidiyeh, meinen Stadtteil, zurückziehen. Sie hat einen Sohn namens Tamim. Tamim studiert an der Baathuniversität in Homs. Samar ist glücklich, weil ihr Sohn nicht zum Militär muss. Einzelsöhne sind vom Militärdienst befreit. Vorgestern wartete ihr Sohn auf den Bus, um zur Uni zu fahren, da kam eine Kugel und traf ihn in der Brust direkt unter dem Herzen. Der Chirurg sagte der Mutter, dass sie Gott viel danken muss, denn die Kugel war nur 2 Millimeter vom Herzen ihres Sohnes entfernt. In Syrien ist es längst eine Gewohnheit geworden, dass die Begleiter eines gefallenen Soldaten einfach in der Luft schießen, egal ob sie mitten in der Stadt sind oder nicht. Sie wollen damit ihre Märtyrer ehren. Wegen solcher Art von Ehrungen mussten viele, total unschuldige Menschen in Syrien ihr Leben lassen. Einzelsöhne sind zwar vom Militärdienst befreit worden, aber nicht von dessen Kugeln. Früher haben die orientalischen Kirchen die christlichen Familien immer ermutigt, mehrere Kinder auf die Welt zu bringen. Wir sind in der Minderheit! Unsere anderen Mitbürger bekommen viel mehr Kindern als wir. Sie und die ganze Welt haben inzwischen vergessen, dass wir, die syrischen Christen, die Einheimischen hier sind. Je weniger wir werden, umso mehr werden wir in Vergessenheit geraten und unsere Bürgerschaftsrechte mehr und mehr verlieren, bis wir nur noch als geduldete Einwanderer im Dar Alislam betrachtet werden...
Heute aber sind wir als Kirche den christlichen Familien sehr dankbar, dass sie nur Einzelsöhne haben, ansonsten hätten wir kaum noch junge Männer in den christlichen Familien. Wir leiden an einer großen Lücke in der Mitte unserer Gesellschaft: Wir haben entweder junge oder ältere Menschen in den Kirchen. In Syrien sind nur Einzelsöhne geblieben. Unsere Frauen sind in der absoluten Mehrheit.
Vor 3 Wochen hatten Yussef und seine Frau einen Unfall. Die Frau starb sofort auf die Straße zwischen Mescherfeh und Homs. Ihr Mann lag Im Krankenhaus. Noch am selben Tag ist auch der Ehemann gestorben. Ihre Kinder leben in Europa als Flüchtlinge, dürfen aber nicht ausreisen, auch nicht um die Eltern zu beerdigen. Wir sterben als Fremde in der eigenen Heimat und leben als Fremde im Ausland. Wo bleibt dann der Unterschied zwischen Heimat und Ausland? Wir Christen sind alle Fremde geworden. In den Kirchen Deutschlands singen die Christen "Wir sind nur Gast auf Erden“. Fast zeitgleich mit den Anschlägen von Menia und Manchester ist eine Autobombe auf meinem Alltagsweg von Hamidiyeh Richtung St. Scharbel in die Luft gegangen. Es gab 4 Tote und fast 50 Verletzte. In den Weltmedien wurde nicht über diesen Anschlag in Homs berichtet...
Gestern bin ich in der weltberühmten Qosseirstadt gewesen. Heute bin ich bei meiner Mutti in Dahr-Safra. Ich versuche, die schöne und grüne Landschaft hier zu genießen. Das Wetter ist herrlich. Alles ist grün und ruhig, sogar das Meer. Ich versuche, hier in die Weite zu blicken. In Homs kann ich nicht weiter als 6 Meter sehen. Die ausgebrannten leeren Wohnungen lassen uns nicht weitblicken. Wir haben angefangen, einige zu restaurieren. 4 davon sind schon fertig. Es ist besser, nicht zu zählen. Die Zahlen bleiben ein Tropfen im Meer. Dieser Tropfen stellt aber eine sehr große Hoffnung für uns dar. Die Menschen, die uns nicht vergessen, sind ein weiterer Tropfen. Ich bin ein Tropfensammler der Hoffnung! .
Der Friede des Herrn sei allzeit mit euch= Salam Alrrab maakom dai man.
Euer Jihad Nassif, Homs/ Syrien